Reuse

Der internationale Gebrauchthandymarkt ist ein aufstrebender Markt. In Ländern des «globalen Nordens» spricht er Leute an, die nicht immer das Neueste besitzen wollen oder die von einem kleinen Budget leben müssen. In Ländern des «globalen Südens» stellte er lange für viele Menschen eine der einzigen finanzierbaren Möglichkeiten dar, sich ein Mobiltelefon leisten zu können. In den letzten Jahren haben chinesische Billigtelefonmarken (“Chinese Phones”) sowie chinesische Marken im mittleren Preissegment wie Tecno, Xiaomi oder Redmi begonnen, den afrikanischen Markt zu erobern. Auch hochpreisige wie Samsung oder Huawei drängen nach. Dem Occasionsmarkt tut das keinen Abbruch.

Die Funktion des Gebrauchthandymarkts ist ambivalent: Einerseits profitiert er von der Wachstumsideologie, denn nur der schnelle Durchlauf garantiert Gerätenachschub, andererseits bietet er eine pragmatische Möglichkeit, die kurz getimte Lebensdauer eines Smartphones zu verlängern und somit dessen Durchlaufquote zu reduzieren. Viele Geräte, die sich in der Schweiz nicht mehr verkaufen lassen, gelangen über Zwischenhändler_innen, Verwandte oder Tourist_innen in Länder mit geringer Kaufkraft, insbesondere nach Süd- und Osteuropa sowie Asien und Afrika. Grundsätzlich gilt: Je schlechter das Gerät, desto weiter weg von der Schweiz wird es verkauft oder verschenkt. Viele defekte Geräte gehen nach China, wo sie instandgesetzt und in ärmere Regionen Asiens oder Afrikas weiterverkauft werden. Dies könnte sich jedoch bald ändern, da China daran ist, die Einfuhrbedingungen für Schrott zu ändern.

Mit dem Verweis auf einen „guten Zweck“ helfen offizielle Handyannahmestellen und weitere Occasionshändler_innen in der Schweiz, Menschen aus benachteiligten Regionen mit Mobiltelefonen auszustatten und den e-Waste im Norden zu drosseln bzw. in Richtung Süden zu verschieben. Oftmals kommt ein Grossteil des Verkaufserlöses einer Hilfsorganisation zu Gute. Die in Lausanne ansässige Handelsfirma Helvetrade beispielsweise arbeitet mit Terre des Hommes zusammen. Doch was genau mit den alten Smartphones im „internationalen Gebrauchthandymarkt“ geschieht, entzieht sich der Sorge oder Kontrolle. Kaum jemand kann Genaueres dazu sagen, wie lange diese Geräte wirklich noch im Einsatz sind, bevor sie zu giftigem Elektroschrott werden. Wie mit dem Dilemma umgehen, dass der «gute Zweck» gleichzeitig zur Anhäufung von e-Waste führt, für den es in diesen Ländern noch kaum nachhaltige Lösungen gibt? Das Problem ist nicht neu; so führte der Auto-Occasionshandel beispielsweise dazu, dass Länder wie Senegal eine Einfuhrsperre verhängten. Deswegen kann das Problem nur dadurch angegangen werden, dass eine Lösung für den e-Waste gesucht wird. Denn alles wird zu Schrott, folgert Anthony Bankole, «Tony Schrott», einer der e-Waste-Händler aus Lagos. Gerade deswegen ist für ihn dieses Geschäft so zukunftsträchtig: «Ich weiss schon jetzt, dass meine beiden tollen neuen Smartphones zu Schrott werden.»

«Der Handygebrauchtmarkt lässt sich mit dem Auto-Occasionsmarkt vergleichen: Nachdem der Markt gesättigt war, begann der Occasionshandel. Diese Situation ist nun in den westlichen Ländern eingetreten. In der Schweiz beginnt er erst, hier kommen nur 1-2% der Handys in den Rücklauf, verglichen mit anderen Ländern, wo er 20-40% beträgt.» RS Switzerland

Ökologie oder sich verändernder Markt?

Auch Firmen wie Samsung oder Apple steigen nun in den Gebrauchthandymarkt ein. Sie tun dies nicht aus ökologischen Gründen, sondern um im sich verändernden Markt mitzumachen.

Reparierbarkeit

Im Umgang mit dem Smartphone gibt es kaum Alternativen. Es ist ein verleimter Minicomputer, dessen Reparierbarkeit und Recyclierbarkeit schwierig ist.

Dennoch kann man rund 15 Komponenten des Smartphones reparieren. Die Reparaturmöglichkeiten sind auch in der Schweiz in den letzten zwei bis drei Jahren rapide gestiegen. Es sind nicht mehr nur kleine, alternative Reparaturwerkstätten oder Online-Occasionshändler wie verkaufen.ch, die diesen Dienst durchführen. Mittlerweile ist es beispielsweise auch möglich, defekte Geräte in den Räumlichkeiten des Mobilfunkriesen Swisscom flicken zu lassen. Dies ist bemerkenswert, da Nachhaltigkeit ihrem Kerngeschäft – dem steigenden Verkauf von Neugeräten – widerspricht. Ihre besondere Leistung besteht im Gegensatz zu den kleinen Reparaturwerkstätten darin, dass sie von Firmen wie Apple konzessioniert sind. Bisher sind Garantieansprüche verfallen, wenn Leute ihr Gerät reparieren liessen.

Komponenten

Am besten schneiden das Fairphone oder das SHIFTphone ab, da ihre Komponenten auswechselbar konzipiert sind. Auswechselbarkeit und Reparierbarkeit sind jedoch aufgrund der Abhängigkeiten von Produktionsteilen keine einfach einlösbaren Versprechen. Das Fairphone 1 konnte beispielsweise wegen nicht mehr lieferbarer Ersatzteile und nicht kompatibler Software schon nach rund 3 Jahren nicht mehr nachgerüstet werden.

Die Lebensdauer eines Smartphones von 5-6 Jahren im Gegensatz zum prognostizierten und angepeilten Erstgebrauch von 12-24 Monaten ist nicht schlecht, insbesondere wenn man in Betracht zieht, dass die Kleinheit des Geräts relativ wenig elektronischen Abfall zurücklässt.

Obwohl das Smartphone als Durchlaufprodukt konzipiert ist, kann man es individuell also durchaus «ein bisschen» anders benutzen. Darin liegen Möglichkeiten, die das Smartphone trotz allem auch für die immer wichtiger werdenden, kollektiv gelebten DiY-Kulturen des Reparierens interessant machen. In diesen DiY-Kulturen werden die gemeinsamen Tätigkeiten des Flickens als Formen einer «Postwachstumsgesellschaft» verstanden, die auf spielerische und unasketische Weise das Leben im Überfluss relativieren.

Quellen: Aus Gesprächen mit Helvetrade SA Lausanne (18.8.2016); Jérôme Grandgirard/Romina Hofer, RS Switzerland Fribourg (8.9.2016), Peter Oertlin, verkaufen.ch, Cham (11.8.2016); Swisscom-Shop, Zürich (Juli 2017); Daniel Kötter, Berlin (31.1.2018); David Signer, Dakar (August 2017); Die Zeit online: https://www.zeit.de/2017/49/fairphone-smartphone-produktion-rohstoffe-probleme/komplettansicht.

Wie verläuft der Gebrauchthandymarkt in der Schweiz?

In der Schweiz wickeln Firmen wie verkaufen.ch, RS Switzerland, Helvetrade oder Revendo den Gebrauchthandymarkt ab.

Der Gebrauchthandymarkt in Westafrika

Viele Wege der Gebrauchthandys führen nach Westafrika. Eine der Hauptachsen führt von Mitteleuropa über Südosteuropa oder direkt nach Westafrika. Eine andere kommt von China – insbesondere von Hongkong oder Guangzhou, wo kaputte Geräte instandgesetzt werden. Afrikanische Händler_innen kaufen an diesen Orten Geräte an und transportieren sie – oftmals via Dubai – nach Westafrika. In vielen Städten gibt es ganze Stadtteile, die dem Handel mit Elektronikgeräten gewidmet sind. Dort werden auch gebrauchte oder kaputte Mobiltelefone auseinandergenommen, repariert und weiterverkauft. Viele junge afrikanische Männer haben sich durch ihre ausgefeilten Reparatur-Arbeiten an so schwierigen bzw. «unmöglichen» Geräten wie Smartphones eine grosse Kompetenz als «Smartphone-Doctors» erarbeitet.

In Afrika erobern chinesische Marken im unteren und mittleren Preissegment den Markt. Auch teurere wie Huawei sind zu finden. Firmen wie Tecno Mobile beispielsweise setzten im Jahr 2008 vollständig auf den afrikanischen Markt, seit 2017 auch auf Südostasien, wie Indien, Bangladesh oder Pakistan. 2016 lancierte die chinesische Firma InnJoo ihr Smartphone in Lagos, weitere Firmen folgten ihrem Beispiel. 2012 fertigte Tecno Mobile das erste Smartphone «Made in Ethiopia». Billigmarken erlauben es, dass sich nun viele Leute auch ein neues Gerät leisten können. Allerdings wird beim Garantieangebot gespart. Wie sowohl die Filme von Daniel Kötter aus Lagos als auch die Texte von Mohomodou Houssouba aus Bamako, Gao und Ouagadougou zeigen, können neu gekaufte Billiggeräte (“Chinese Phones”) mit Fertigungsfehlern nicht umgetauscht werden. Solche Geräte landen deswegen ebenfalls in den Elektronikvierteln dieser Städte, wo sie neben den vielen gebrauchten (Schrott-)Geräten repariert werden.

Gemäss David Signer, in Dakar lebender Afrika-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, ändert sich in der aktuellen IT-Situation in Afrika informationstechnisch vieles. Es gibt Hackerszenen in Nigeria, und insbesondere Kenia sei technisch avanciert. Aber letztlich dominierten die Chines_innen das Smartphone- und IT-Feld. Viele Afrikaner_innen seien zwar kreative User_innen, aber machtvolle IT- und Ingenieurs-Kompetenz müsse erst noch aufgebaut und systematisiert werden. Es fehle an technischen Ausbildungsmöglichkeiten, die den State-of-the-Art vermittelten. Schon im Auto-Occasions-Markt hätte Afrika grosse Skills im Reparieren entwickelt. Es zeige sich mittlerweile aber, dass die Computerisierung von Autos und die Monopolisierung der Ersatzteile diese Kompetenz überflüssig machen werde.

Quellen: Aus Gesprächen mit Helvetrade SA Lausanne (18.8.2016); Jérôme Grandgirard/Romina Hofer, RS Switzerland Fribourg (8.9.2016), Peter Oertlin, verkaufen.ch, Cham (11.8.2016); Daniel Kötter, Berlin (31.1.2018); David Signer, Dakar (August 2017).

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